Das Ausbesserungswerk Siegen

Der Anfang

 

Bereits im Jahre 1862 nahm die Bergisch-Märkische Eisenbahn-gesellschaft (BME) eine Werkstätte für die Reparatur schadhafter Fahrzeuge in Betrieb. Im nordöstlichen Teil des Bahnhofs Siegen, also im Bereich der BME Anlagen, wurde die sogenannte „Filial-Reparatur-Werkstätte nebst Locomotivschuppen“ errichtet. Sie war in der Tat ein Ableger der Hauptwerkstätte in Witten an der Ruhr, zu deren Entlastung bei der Ausbesserung von Lokomotiven und Wagen der Ruhr-Sieg-Bahn die Werkstätte Siegen diente.

Grundriß der Filial-Reparaturwerkstätte von 1862 in Siegen (3)
Grundriß der Filial-Reparaturwerkstätte von 1862 in Siegen (3)

Der Lokomotivschuppen, den die BME bereits 1861 errichtet hatte, be-herbergte die betriebsfähigen Maschinen. Hier konnten auch kleinere Ausbesserungen durchgeführt werden. Die eigentliche Werkstätte aber schloß sich östlich davon an. Nächst der Tiergartenstrasse gelegen waren ein Reparaturschuppen mit zwei Ständen sowie die Dreherei und die Schmiede, ein Kesselhaus befand sich in der Verbindung zum Werkstätten-Lokschuppen. Im Kesselhaus waren 3 Einwellrohr-Kessel installiert, die über eine Dampfmaschine die Wellen der Dreherei, die Hämmer der Schmiede und eine Brunnenpumpe betrieben. Die Pumpe förderte das Wasser in einen Sammelbehälter auf dem Dach des Kesselhauses, von wo aus es bei Bedarf zu den Verbrauchern in der Werkstätte gelangte. Für die Beleuchtung sorgten zunächst Öllampen, später Petroleumlampen. Erst nachdem die Stadt Siegen Mitte der siebziger Jahre eine Gasanstalt erbaut hatte, wurde allgemein die Beleuchtung auf Gasleuchten umgestellt. So auch in der Werkstätte. Im Jahre 1899 besaß die Werkstätte Anlagen zur Stromproduktion. Diese lieferten ab Juni 1899 auch die Energie für 250 Glühlampen und 42 Bogenlampen im Bereich des Bahnhofs Siegen.

 

Die Fahrzeuge konnten über zwei Schiebebühnen und eine Drehscheibe per Muskelkraft zu den Ausbesserungsständen gelangen. Überhaupt waren die meisten Einrichtungen wie Achstauschvorrichtungen oder Hebeböcke handbetrieben. Die Ausbesserungsstände im Lokschuppen konnten 6 Lokomotiven aufnehmen. Die Wagen mußten im Freien repariert werden.

 

Die Lokomotivabteilung beschäftigte 25 Mann, darunter nur je einen Klempner, Kupferschmied, Anstreicher und zwei Werkzeugschlosser, die Wagenabteilung fünf Schreiner, drei Schlosser und einen Anstreicher, insgesamt also 9 Mann und die Schmiede sowie die Dreherei, die von beiden Abteilungen genutzt wurden insgesamt 12 Mann. Die Belegschaft der Werkstätte betrug also 46 Mann; hinzu kamen 15 Lokomotivputzer im Betriebs-Lokschuppen, der damals organisatorisch der Werkstätte zugeordnet war. Die Arbeitszeit betrug 10 Stunden am Tag, dafür erhielten die Facharbeiter 1,70 bis 2,30 Mark Lohn.


Kaum 10 Jahre nach Eröffnung des neuen Verkehrsmittels konnte ein enormer Aufschwung der Industrie entlang der Ruhr-Sieg-Bahn, aber auch im Bereich der Rhein-Sieg-Bahn verzeichnet werden. Ursache waren die verbesserten Transportmöglichkeiten durch die Bahn. So bedingte der Bahnbau die Wirtschaftsblüte und diese wiederum eine starke Zunahme des Verkehrs auf der Eisenbahn. In Folge dieser Ent-wicklung musste nun auch die Werkstätte erweitert werden.

 

Ab 1880 wurden zunächst zwei gleichartige Hallen jeweils für die Lokomotiv- (westlich) und Wagenausbesserung (östlich) mit innen liegenden Schiebebühnen errichtet und schon 1890 gab es zur Ortsseite hin Erweiterungen von je 14 Ständen. Die Werksgebäude hatten zu jener Zeit eine gewisse symmetrische Anordnung. Zwischen 1906 und 1908 wurde im westlichen Bereich des Areals dann eine neue große Lokhalle mit 19 Ständen erbaut, wiederum mit einer Schiebebühne im Innenbereich. Vier Jahre später gab es entgegengesetzt im östlichen Bereich eine neue Halle für die Wagen mit drei längeren Ständen. In den Wirren des Ersten Weltkrieges kam die Bautätigkeit etwas zum Erliegen, wurde aber 1919 mit der neuen Wagenhalle II (neben der alten Halle für die Waggons gelegen) direkt wieder aufgenommen. Zu dieser Zeit  kamen weitere Werkstattgebäude, ein Kesselhaus und ein neues Verwaltungshaus hinzu.

Die "Arbeitsgemeinschaft für Ersparnisse im Werkstättenwesen" übte am 19.12.1923 starke Kritik an der Lokausbesserung in Siegen, weil angeblich einige Lok-Untergestelle zu lange auf dem Hof abgestellt waren. Darauf antwortete die HW Siegen wie folgt:

 

T11, Lok 7506, Ausbesserung I, Eingang am 01.08.1923

Kesselarbeiten sind umfangreicher als angenommen, daher steht das  fertige Untergestell auf dem Hof

 

T9.3, Lok 7373, Ausbesserung II, Eingang am 22.09.1923

Untergestell stand 10 Tage auf dem Hof, da die Feuerbüchse umfang-reich geschweißt werden musste.

 

T12, Lok 7753, Ausbesserung IV, Eingang am 30.11.23

Schweißarbeiten an der Feuerbüchse notwendig, das Untergestell ist noch nicht bearbeitet.

 

P8, Lok 2423, Ausbesserung II, Eingang am 27.10.23

Schweißarbeiten an Feuerbüchse notwendig.

 

In Folge der Arbeit der Einsparungs-AG wur-den schließlich die Werkstätten spezialisiert. Dies führt in Siegen zur Aufgabe der Dampf-lokausbesserung  und zur Konzentration auf Ausbesserung von Güterwagen und Bahn-dienstwagen sowie auf zwei- und drei-achsige Personenwaggons. Anno 1926 über-nahm das Reichsbahn-Ausbesserungswerk (RAW) Siegen fast die gesamte Belegschaft und die Aufgaben vom RAW Betzdorf. Dies wurde Außenstelle. In den Jahren 1927 bis 1930 wurden die bisher einzelnen Gebäude zu einem großen Hallenkomplex zusammengefasst.

Personenausweis des RAW Siegen 1936
Personenausweis des RAW Siegen 1936

Zum Zeitpunkt des 75jährigen Bestehens des Reichsbahn-Ausbesserungswerkes Siegen (1) wurden 1936/37 gesamt etwa 1.430 Mitarbeiter gezählt. Während der Herrschaft der Nationalsozialisten galt das RAW im Gegensatz zu anderen Siegerländer Betrieben als wenig parteitreu - aus heutiger Sicht erstaunlich und höchst erfreulich. 

 

Bilder vor 1945

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges und Behebung der Bombenschäden behielt man die Struktur beim Eisenbahn-Ausbesserungswerk (EAW) Siegen zunächst bei, wobei Betzdorf allerdings wieder selbstständig und der RBD Mainz zugeschlagen wurde. Ausbesserungsschwerpunkte waren in Siegen weiterhin diverse Güterwagenarten und kürzere Personenfahr-zeuge. Im Jahr 1950 belief sich die Mitarbeiterzahl auf 1277

 

Mitte der 50er Jahre hatte die Firma Rheinmetall AG angeboten, das AW Siegen zu übernehmen. Die DB hätte dem sicher gerne zugestimmt, da durch den sich abzeichnenden Strukturwandel Überkapazitäten im Bereich der Fahrzeugausbesserung entstanden. Jedoch verhinderte im November 1958 der Betriebsrat die Übernahme. Er befürchtete Nach-teile für die Belegschaft, die einen hohen Alterdurchschnitt aufwies.

 

Bilder nach 1945 (bitte anklicken)

Am 13. Juli 1962 konnte das 100 jährige Bestehen des nunmehrigen Bundesbahn-Ausbesserungswerks (AW) Siegen in der neuen Sieger-landhalle festlich begangen werden (2). Es mischten sich ernste Sorgen um das Werk in die Feierstimmung, denn die Aussichten für die Zukunft waren eher trübe. Zwei Jahre später kam tatsächlich die Ankündigung der Schließung des Werks, aber noch zog sich die Durchführung hin.

 

Werkloks 

Das AW Siegen besaß von 1923 bis 1960 die 1883 von Henschel (Fabriknummer 1594) gebaute Tenderlok T3 unter der Bezeichung "Gerät 004" als Werklok. Nach Stationen bei der Lokführerschule in Wuppertal Clausen und als Spielplatzgerät in Schwalbach/Taunus ist die Lok heute beim Heimatverein Erkrath zu finden. Im Jahre 1932 tat die T3 mit der Reichbahn-Nummer 89 7040 für einige Monate vertretungsweise Dienst als Werklok. Diese war übrigens in den Jahren 1891, 1899, 1904, 1913 und 1926 selbst als "Patient" im EAW Siegen "kuriert" worden. Nachfolger der T3 004 wurde 1960 dann eine Köf als Werklok Nummer 5. Die Nummerierung der beiden genannten Loks legt die Vermutung nahe, daß es vor 1923 drei verschiedene Werkloks gegeben haben muß. Leider liegen dazu keine Informationen vor.

Bildergalerie (bitte anklicken)

Die Einfahrt zum Aw Siegen mit der Köf-Werkslok im Hintergrund links, 052 728-3 vom Bw Betzdorf dampft mit einer Ladung Schienenprofile vorbei, Mai 1969
Die Einfahrt zum Aw Siegen mit der Köf-Werkslok im Hintergrund links, 052 728-3 vom Bw Betzdorf dampft mit einer Ladung Schienenprofile vorbei, Mai 1969

 

Das Ende

 

Im Jahre 1966 wurden Pläne für den Bau einer vierspurigen Schnell-strasse von Kreuztal bis Eiserfeld entlang der Ferndorf und der Sieg bekannt, für die das Ausbesserungswerk weichen müsse. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten noch 600 Menschen hier. Das Werk konnte sich auf vermindertem Niveau noch einige Jahre halten und wurde am 1. Oktober 1975 endgültig aufgelöst. Das Areal ging in den Besitz des Landschaftsverbandes Westfalen über. Zuletzt waren im Aw noch 95 Mitarbeiter beschäftigt. Im Oktober 1979 wurden die Gebäude abgerissen, am 19. Dezember 1979 der 65 m hohe Schornstein (der lange Henner) gesprengt. Als Vorbote für die weitere Stadtentwicklung wurde das Planum eingeebnet. Heute fahren dort Autos über die augeständerte  Hüttentalstrasse (HTS), die das gesamte Siegerland wie eine Stadtautobahn durchzieht. Damit ist eine lebensfeindliche Beton-wüste entstanden, die Stadt und Land verheerend zerschneidet. Mitte 2012 wurde mit einem Tunnel oberhalb des Bahntunnels zwischen Eiserfeld und Niederschelden der Südteil der HTS gebaut. Es wird höchste Zeit Pläne zu entwickeln, um dieses Strassenmonstrum wieder zu entfernen. 

 

 

Literatur:

75 Jahre Reichsbahn-Ausbesserungswerk Siegen. Festschrift, Druckerei Bernhard Bonn, Siegen, 1937.

100 Jahre Bundesbahn-Ausbesserungswerk Siegen. Festschrift, 1962.

 

HINWEISE

 Fotos gesucht

Für diese Website werden noch historische Fotos und andere Materialien von der Eisenbahn im Siegerland und der Strassenbahn in Siegen gesucht !

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