Brief an den Bundesumweltminister 2009
Herrn
Bundesminister Sigmar Gabriel
Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit
Alexanderstraße 3
D-10178 Berlin
Sehr geehrter Herr Bundesminister Gabriel,
der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) aus dem Jahre 2003 führt hunderte von Straßenbauprojekten auf. Eines davon ist der Weiterbau der A4 von Olpe und Krombach in Westfalen zum Hattenbacher Dreieck in Hessen. Zahlreiche Bürger aus dem Siegerland und aus Hessen widersetzten sich der Umsetzung dieses Projektes jahrelang. Machbarkeitsstudien wurden vorgelegt, die schließlich einen Bau dieses Lückenschlusses der A4 im gesamten Bereich des Rothaargebirges und im Streckenverlauf in Nordhessen negativ bewerteten. So wurde das Projekt 2004 aus ökologischen Gründen eingestellt.
Die derzeitige Planung
Die Verfechter einer Fernstraßenverbindung im nördlichen Siegerland und in Wittgenstein haben damit ihr Anliegen allerdings keineswegs aufgegeben und wurden beim BMVBS vorstellig. Das Ministerium steht dem Anliegen eines Bundesfernstraßenbaus positiv gegenüber und schreibt dazu:
Insbesondere zur besseren regionalen Erschließung des Raumes Olpe - Hattenbach ist eine neue, leistungsfähige und durchgehende Bundesfernstraßenverbindung erforderlich. Im Bereich des Landes Nordrhein-Westfalen (NW) ist zu diesem Zweck eine durchgehende zweistreifige neue Bundesstraße von Kreuztal bis Erndtebrück im Vordringlichen Bedarf des BPL vorgesehen. In Hessen, beginnend an der Landesgrenze zu NW, jedoch ohne Anknüpfung an den Bundesstraßenzug in NW, ist eine vierstreifige Bundesautobahn im Weiteren Bedarf des BPL ausgewiesen.
Um diese Inkonsistenz aufzulösen, hat das Land Hessen in Abstimmung mit dem Land NW und dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) eine neue Machbarkeitsstudie für eine durchgehende Straßenverbindung durchführen lassen. Das Ergebnis dieser Studie mit den verschiedenen Trassenvarianten wurde hinsichtlich der jeweiligen verkehrlichen Wirkungen untersucht. Trotz der zu erwartenden hohen Kosten konnte die Bauwürdigkeit und die gute verkehrliche Wirkung mit der Konzentrationsfunktion zur Entlastung des vorhandenen Straßennetzes nachgewiesen werden. Deshalb hat das BMVBS dem Land Hessen die Zustimmung erteilt, mit finanzieller Beteiligung des Bundes weitere Planungsschritte durchzuführen. In nächster Zeit werden eine verkehrswirtschaftliche Untersuchung sowie eine Umweltverträglichkeitsstudie für den Raum Erndtebrück - Hattenbach beauftragt. Die Planung und der Bau des Abschnitts Kreuztal - Erndtebrück erfolgt wie oben beschrieben gemäß dem Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen. Die Ergebnisse der Untersuchungen bleiben abzuwarten.
Als Ersatz für den entfallenen Lückenschluß der A4 wird nun eine Bundesfernstraße im Abschnitt Kreuztal – Erndtebrück geplant, die als eine Reihe von zweispurigen Ortsumfahrungen im BVWP bereits ausgewiesen sind:
Vordringlicher Bedarf
232 B508 T-OU Kreuztal 2,0 13,8 NW5180
233 B508 OU Kreuztal/Ferndorf 6,1 30,7 NW5180
Neue Vorhaben mit besonderem naturschutzfachlichen Planungauftrag für VB
244 B62 Hilchenbach mit OU Lützel 4,9 14,8 NW5180
245 B62 OU Erndtebrück und OU Schameder 9,2 52,6 NW5180
256 B508 OU S Hilchenbach 3,4 8,7 NW5180
Diese Ortsumfahrungen werden jetzt allerdings nicht mehr als zweispurige, sondern drei- bzw vierspurige Strassen ausgewiesen und bilden zusammengenommen eine autobahnähnliche Bundesfernstraße.
Der Widerspruch
Pro: Die Befürworter einer Bundesfernstraße als Autobahnersatz sind der Landrat und ein Bundestagsabgeordneter aus der Region Siegen-Wittgenstein sowie die IHK. Sie sprechen von der Verwirklichung einer strategischen Entwicklungsachse für das nördliche Siegerland und Wittgenstein. Die Straße soll die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Aufschwung in dieser dünn besiedelten Region schaffen.
Kontra: Gegen die Straßenbaupläne regt sich ebenso Widerstand wie ehedem gegen die A4, ist doch die neue Planung nichts anderes als eine Variante der Autobahn. Etliche Vereine und Bürgerinitiativen befürchten, dass nun die negativen Auswirkungen des Schnellstraßenverkehrs noch näher an die Wohngebiete im Ferndorftal und die schützenswerten Naturräume des Rothaargebirges rücken. Die Bevölkerung sei damit Lärm, Feinstaub und Abgasen ausgesetzt, die Landschaft wird zerschnitten; kurz: die Lebensqualität für Bevölkerung und Touristen sinke dramatisch, die Natur werde zerstört. Der breite und entschlossene Widerstand ist um so bemerkenswerter, als die Siegerländer Bevölkerung im Allgemeinen eher besonnen und zurückhaltend ist.
Konsequenz: Eine solche Konstellation der widerstrebenden Interessen ist sicher nicht einzigartig. Die Argumente sind vielfach von anderen Projekten des Verkehrswegebaus bekannt. Grundsätzlich stehen sich die Positionen ohne Aussicht auf Kompromiss gegenüber. Auch im vorliegenden Fall scheint die Lage festgefahren. Daher muß nach einer Entscheidung zwangsläufig eine Seite über die andere obsiegen, was dazu führt, dass die unterlegene Seite sich unverstanden und übergangen sieht. In der Regel ist dies die Seite der bis dato engagierten Bürger, die sich zudem in der Folge vom staatlichen Miteinander abwenden. Es ist also in vielfacher Hinsicht der Mühe wert, einen Weg zu finden, der allen Beteiligten versucht gerecht zu werden.
Der Ausweg
Das Engagement des Landrats und des MdB für Verbesserungen der Verkehrswege in ihrer Region kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Beide tragen Verantwortung für die wirtschaftliche Zukunft der Region und damit auch für die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Ohne wirtschaftliche Perspektive gibt es keine Lebensgrundlage für die Bevölkerung.
Andererseits will die Bevölkerung nicht auf ein Mindestmaß an Lebensqualität verzichten. Gerade im nördlichen Siegerland mit einem Teil des Rothaargebirges sind noch große unzerschnittene, verkehrsarme Räume (UZVR) vorhanden, die absolut erhaltenswert sind. Unser Grundgesetz schützt u. a. die Tiere und die natürlichen Lebensgrundlagen. Hieran ist nicht zu rütteln. Sogar das Ferndorftal, obwohl seit langem industrialisiert, ist durch die existierende Bundestrasse und eine eingleisige Bahnstrecke nicht irreparabel zerstört wie es beispielsweise das Hüttental durch eine aufgeständerte Schnellstraße ist. Die Bevölkerung im Ferndorftal möchte verständlicherweise ihren Lebensmittelpunkt ortsnah belassen ohne die zwangläufigen Nachteile einer neuen Schnellstraße, die unweigerlich überregionalen Verkehr anziehen wird.
Idealerweise können beide Interessen berücksichtigt und möglichst in Übereinstimmung gebracht werden. Dabei steht die Frage im Vordergrund, ob tatsächlich eine Notwendigkeit zum Bau der Bundesfernstraße als Ersatz für die A4 besteht. Das Siegerland ist durch die A4 Richtung Köln (Westen), und durch die A45 Richtung Dortmund (Norden) sowie Giessen (Süden und Osten) verkehrsinfrastrukturell sehr gut erschlossen. Diese Autobahnen folgen im Prinzip den vor etwa 150 Jahren von Siegen aus angelegten Eisenbahnlinien.
Überall in Deutschland setzen politische Entscheidungsträger automatisch voraus, dass die Verkehrswege optimiert werden müssen, bevor Unternehmen eine Ansiedlung auch nur in Erwägung ziehen würden. Wohin das führt, zeigt die Situation in den neuen Bundesländern. Der Staat hat allenthalben Straßen im Eiltempo gebaut, Industriegebiete ausgewiesen und mit geldwerten Vorteilen gelockt; allein die Erfolge bei der Wirtschaftansiedlung waren und sind sehr gering. In keinem Falle aber sind die Verkehrsverbindungen, schon gar nicht die Straßen allein entscheidend für die Industrieansiedlungen gewesen. Selbstverständlich muß ein Betrieb die Möglichkeit haben, seine Produkte verlässlich und schnell zu versenden.
Dazu ist aber nicht notwendigerweise der Straßentransport erste Wahl, vielleicht könnte auch der Gütertransport auf der Schiene in Frage kommen. Gewiss haben Kunden sehr schlechte Erfahrungen mit der Leistung der DB-AG machen müssen. Beispiele gibt es auch aus dem Raume Siegen leider genügend. Angesichts der Liberalisierung des Schienengüterverkehrs stehen jedoch etliche Anbieter bereit, um Aufgaben zu übernehmen, die die DB-AG nicht mehr erfüllen will. Daher wird vorgeschlagen, Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und potentielle Kunden in Kontakt zu bringen. Der Kreis Siegen ist Eigentümer eines EVU, der Kreisbahn Siegen-Wittgenstein (KSW) und sollte aus eigenem Interesse hier tätig werden. Die über die Grenzen des Siegerlandes bekannte Krombacher Brauerei hat übrigens dieser Tage die Genehmigung für einen Gleisanschluß erhalten. Ein positives Zeichen ist damit gesetzt; andere Unternehmen könnten wieder zur Bahn zurückkehren! Noch ist die entsprechende Infrastruktur mit dem großen Güterbahnhof in Kreuztal zum Teil vorhanden…
Vielleicht ist auch die Frage der Lokalisierung einer Industrieansiedlung von Wichtigkeit, um Widersprüche aufzulösen. Ist es tatsächlich notwendig oder auch nur wünschenswert, intakte Naturräume zu industrialisieren und mit breiten Straßen zu durchschneiden? Im Siegerland gibt es von jeher stark vom Menschen genutzte Räume wie das sogenannte Hüttental. Zudem hat sich seit dem Bau der Autobahn A45 viel Gewerbe und Industrie entlang dieser Trasse angesiedelt. Wird einmal über den Horizont von einzelnen Kommunen hinaus geplant, muß die Konzentration der Industrie in diesen beiden Bereichen als folgerichtig erscheinen. Mit den Mittel der Landschafts- und Stadtplanung sowie der Raumordnung ist es möglich, bestimmte Räume für Industrie und Arbeit sowie andere Räume für Leben und Erholung auszuweisen. Tourismus ist inzwischen ein wirtschaftlicher Faktor auch im Siegerland geworden. Auf der Internationalen Tourismus Börse (ITB) in Berlin präsentiert sich die Region regelmäßig, an der Spitze vehement vertreten durch den Landrat!
Ich möchte Sie, Herrn Bundesminister Gabriel, bitten, das beschriebene Gebiet einmal zu besuchen, um sich selbst ein Bild zu machen. Vielleicht ist das im Rahmen des Bundestagswahlkampfs kurzfristig möglich? Gleichzeitig bitte ich Ihr Haus, Planungen für den Erhalt der Natur bei gleichzeitiger Entwicklung von Industrie und Gewerbe zu unterstützen sowie darüber hinaus Maßnahmen zu entwickeln und vorzuschlagen, die ein Tourismus- und Industriegebiet wie das Siegerland zu einer Modell-Region für einen schonenden Umgang mit Resourcen aller Art werden lässt. Für Gespräche und nähere Informationen dazu stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Richard Vogel